Alle waren schon aus dem Auto gestiegen, die Türen knallten zu und die Herrschaften begaben sich zum Unterricht. Ich legte den Rückwärtsgang ein, um in heimische Gefilde zu fahren und dort einiges zu erledigen. Im Kopf schon bei der Planung, was ich zuerst mache, was danach, wann ich die Beine der alten Dame versorge und wie ich alles unter den einen Hut bekommen sollte, nahm ich aus dem Augenwinkel ein Winken war.
Wir hatten uns länger nicht gesehen. Früher war das anders, wie trafen uns häufig. Ich passte auf ihre Kinder auf, sie auf meine, wir bastelten gemeinsam für Basare und besuchten uns an den Geburtstagen.
Irgendwie hatte sich das alles verlaufen. Versandet war es. Immer weniger geworden, je älter die Kinder wurden. Nun hatten wir uns Monate nicht gesehen.
Ich ließ das Fenster herunter, während ich dachte: Kann ich ihr all das Drama berichten, dass bei uns in den letzten Monaten stattfand? Sollte ich einfach all das aussparen, was mein Leben so schwierig macht? Sind wir an der Oberfläche oder können wir noch in Tiefen gehen?
„Guten Morgen! Wir haben uns aber lange nicht gesehen.“, sagte ich.
„Guten Morgen!“, sagte sie.
Und fragte mich, ob ich wisse, was bei ihr losgewesen sei. Nein, ich wusste es nicht. Ich wusste es alles nicht.
Ich wusste nichts von der gestorbenen Großmutter. Und ich wusste auch nicht, dass ihr Vater durch einen Infarkt vor drei Monaten ums Leben kam. Von ihrer schwer erkrankten Mutter wusste ich auch nichts.
Ich wusste gar nichts.
Und ich konnte nichts anderes tun als ihre Hand zu nehmen. Und ihr einen Kuss darauf zu geben.
Ich konnte kaum etwas sagen. Wie sehr ich erschrak. Wie leid es mir tut, dass sie solche Dinge aushalten muss. Dass ich nicht an ihrer Seite war. Dass ich in meinem Sumpf versunken bin, ohne von rechts oder links etwas mitzubekommen.
Ich habe nur ihre Hand gehalten.
Sie sagte, sie müsse los und ich konnte sie nur traurig anlächeln und nicken.
Es gibt einfach keine tröstenden Worte dafür.
Sie ging zu ihrem Auto, stieg ein und fuhr weg, während ich noch im Auto saß, ganz still. Ich konnte nicht einfach losfahren. Ich konnte die Handbewegungen nicht tun. Ich schob Gedanken in meinem Kopf hin und her. Gedanken über Relationen und Gedanken über den Tod. Und über das Leben.
Über Sinn und Unsinn. Über Lohnendes. Über Dramen.
Was ist wirklich elementar im Leben? Ist es nicht einfach das Leben selbst?
Es dauerte, bis ich nach Hause fuhr. Und der Rest des Tages verlief ungeplant und ohne Struktur und Überlegung. Er kam einfach, wie er kam und breitete sich aus. Bis er am Abend vorbei war.
Die ganze Zeit begleiteten mich die Gedanken an den Morgen. Und daran, wie sehr sich Leben ändert. Immer.
Wie gut kann ich das verstehen, hat mir das Schicksal doch vor kurzem erst die Gelegenheit gegen, mich doch mal wieder auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben zu konzentrieren.
Der ganze tägliche Alltagsärger schrumpft auf einmal zu einer winzigen Nichtigkeit zusammen, und übrig bleibt nur das Destillat unseres Daseins, und tatsächlich: das ist einfach nur das Leben selbst.
Trotzdem: es wird immer jemanden auf Erden geben, dem es schlechter geht als einem selbst – sind die eigenen Probleme deshalb weniger wichtig? Darf einem wegen eines undankbaren, haßerfüllten Blags nicht das Herz brechen, nur weil die Kinder in Afrika verhungern und gar nicht erst in das Alter kommen, wo sie einem Probleme bereiten?
Dennoch ist es gut, wenn einem die Proportionen der Probleme mal wieder bewußt gemacht werden und man so manchen Kummer nicht im Zerrspiegel der eigenen Wahrnehmung betrachtet, sondern im kalten Licht der Realität.
Alles nicht so schlimm. Alles wird gut.
Danke, Bettina, Du hast mir die Worte aus dem Mund genommen! So ungefähr hätte ich Dir das jetzt auch aufgeschrieben, Frau Lavendel.
Liebe Grüße
Frau Frosch
Ja, es macht die eigene Situation nicht wirklich besser.
Aber es hilft, den Kopf mitunter dorthinzurücken, wo er hingehört.
…und wir nichts festhalten können. Aber es ist noch nicht so lange her, dass wir von unseren Kindern gelernt haben, im Hier und Jetzt zu sein, und Freude am Sonnenschein zu haben, an den blühenden Veilchen, an dem, was jetzt in diesem Moment gut ist (mit dem kleinen Tochterkind auf dem Sofa zu hocken, unsere Erkältung auskurierend, ein Hörbuch zu hören und mich an ihrer Freude zu freuen, dass wir unseren zukünftigen Hund angezahlt haben)….und wir nichts festhalten können…..
Nein. Es lässt sich nichts festhalten. Es geht immer weiter.
Und lässt man eines los, kommt etwas anderes, das auch nicht festzuhalten ist.
Bitte, schreibe ein Buch. Das hilft dir jetzt nicht bei deinen Sorgen und Problemen. Jedoch solltest du für dich etwas tun, gegen deine Sorgen. Schreib.Du trifftst die Worte, die uns fehlen. Danke schoen.
Bitte.
Ich werde es versuchen.
Aber gerade habe ich zuwenig Zeit.
Entweder Buch oder Blog.
Blog. Jetzt.